Dieter Horst Michel wurde am 17. März 1940 in Lengenfeld/Vogtland geboren. Nach Schulbesuchen in Lengenfeld (1946–1956) und Auerbach erwarb er 1958 das Abitur, war anschließend im VEB Naben- und Kupplungswerke Reichenbach als Arbeiter in der Härterei tätig, studierte 1959–1964 Physik an der KMU Leipzig und erwarb 1964 unter der Betreuung durch Harry Pfeifer das Diplom. Er war 1964–1968 wissenschaftlicher Assistent am Physikalischen Institut der KMU Leipzig und promovierte im Frühjahr 1968 mit einer Arbeit, in der er die Methode der systematischen Relaxationsanalyse zur Untersuchung der molekularen Dynamik adsorbierter Moleküle entwickelte. Von 1969 bis 1980 war er als Oberassistent in der Abteilung von Harry Pfeifer an der Sektion Physik tätig und erwarb 1973 die facultas docendi auf dem Gebiet der Experimentalphysik. Gemeinsam mit Dieter Geschke wandte er erstmalig die hochauflösende 13C-Kernresonanz-Spektroskopie auf adsorbierte Moleküle an. 1974 wurde er mit einer Dissertation über die elektronische Struktur adsorbierter Moleküle zum Dr. sc. nat. promoviert. Von 1976 bis 1977 war er für sechs Monate Gastwissenschaftler an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Moskau bei Vadim Borisovich Kazanski. Im Jahre 1980 wurde er an der Universität Leipzig zum Hochschuldozenten für Experimentalphysik im Wissenschaftsbereich „Struktur der Materie“ berufen, wo er sich vorrangig mit Arbeiten zur Festkörper-NMR-Spektroskopie und der Untersuchung struktureller Phasenübergänge befasste. Später standen in Zusammenarbeit mit Jörn Petersson von der Universität des Saarlandes Untersuchungen zu kritischen Erscheinungen an Phasenübergängen von Systemen mit inkommensurablen Phasen im Mittelpunkt.
Seit 1985 war Dieter Michel als Koordinator der Sektion Physik für die auftragsgebundene Forschung mit dem VEB Chemieanlagenbau Leipzig–Grimma und 1986–1991 als stellvertretender Leiter des Kohlelabors an der Universität Leipzig tätig. Zum außerordentlichen Professor für Experimentalphysik wurde er 1988 ernannt. Im Juni 1992 wurde er als Universitätsprofessor neuen Rechts für Experimentalphysik an der Universität Leipzig berufen. Bis zu seinem Ruhestand im Jahre 2005 war er der Leiter der Abteilung „Physik dielektrischer Festkörper“ am jetzigen Felix-Bloch-Institut für Festkörperphysik. Aber unser Kollege Dieter Michel war nicht nur international anerkannter Wissenschaftler, sondern auch Mitglied (über fünf Jahre auch der Leiter) der Kammermusikgruppe der Fakultät, Weihnachtsmann in vielen Weihnachtsvorlesungen und Organist in Weihnachtskonzerten der Physik.
Im Jahre 1997 wurde Dieter Michel als Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig gewählt und wirkte dort 2005–2008 als Stellvertretender Sekretar und 2008–2011 als Sekretar der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Klasse. Die Staatliche Universität St. Petersburg ernannte ihn 2001 zum Professor ehrenhalber.
Dieter Michel war in vielfacher Weise in der universitären Selbstverwaltung tätig: 1989–1994 als stellvertretender Direktor für Forschung der Sektion Physik bzw. als stellvertretender Leiter des Fachbereiches Physik, 1994–1996 als Dekan und 1996–1999 als Prodekan der Fakultät für Physik und Geowissenschaften. Von 1997 bis 2002 war er der Sprecher des Sonderforschungsbereichs 294 „Moleküle in Wechselwirkung mit Grenzflächen“ der DFG. In den Jahren 1998–2006 war er Vorsitzender des Verwaltungsrates des Studentenwerkes Leipzig, 1999–2009 Mitglied der Universitätskommission zur Erforschung der Leipziger Universitätsgeschichte und 2001–2005 Vorsitzender der Haushaltskommission der Universität Leipzig.
Zu seinen außeruniversitären ehrenamtlichen Tätigkeiten gehörten die Wahlfunktion als Stellvertretender Stadtpräsident der Stadt Leipzig und die Mitgliedschaft im Präsidium der Stadtverordnetenversammlung (jetzt Stadtrat) der Stadt Leipzig von 1990 bis 1994. Er hat sich sehr in der Ev.-Luth. Versöhnungskirchgemeinde Leipzig-Gohlis engagiert, wo er mehrere Jahre dem Kirchenvorstand angehörte und sich für die Renovierung der Kirche einsetzte. Dieter Michel engagierte sich intensiv im 2001 gegründeten Freundeskreis der Fakultät für Physik und Geowissenschaften und war ununterbrochen über 15 Jahre lang bis Ende 2019 sein Sprecher. Anschließend wurde er hochverdient zum Ehrenvorsitzenden des Freundeskreises gewählt. Er hat über die lange Zeit hinweg das Geschehen des Freundeskreises außerordentlich ideenreich, voller Tatkraft und im Geiste eines harmonischen Miteinanders vor allem auch in der Zusammenarbeit mit der Fakultät gestaltet. Im Jahre 2008 gewann er Bodo Geyer für die gemeinsame Erarbeitung einer umfassenden Geschichte der Physik an der Universität Leipzig, ihrer Verflechtung mit der Mathematik und den physikalisch geprägten Teildisziplinen der Nachbarwissenschaften, wobei auch das jeweils lokale Umfeld der wissenschaftlichen Institutionen Beachtung findet. Dieses nach Anspruch und Umfang einzigartige Projekt ist inzwischen als Manuskript abgeschlossen und steht vor der Herausgabe durch die Sächsische Akademie der Wissenschaften als dreibändiges Werk, dessen Erscheinen Dieter Michel leider nicht mehr erleben kann.
Dieter Michel wird uns in seiner immer hilfsbereiten und kollegialen Art fehlen. Aus einer Lengenfelder Pfarrersfamilie stammend, war er als bekennender Christ stets dem Menschen zugewandt, allzeit auf Ausgleich und Gemeinschaft hinwirkend. Bis in seine letzten Tage arbeitete er rastlos für die Leipziger Physik und deren Geschichte. Nun wurde ihm alles aus der Hand genommen.
Wir behalten Dieter Michel mit tief empfundener Achtung, Sympathie und Dankbarkeit in Erinnerung.
Prof. Dr. Christoph Jacobi, Dekan der Fakultät
Prof. Dr. Marius Grundmann, Sprecher des Freundeskreises